Sie sahnen ab, keine Frage. Rackern sie sich damit zu Tode?
Eine unheimliche Serie an Selbstmorden junger Banker befeuert die Debatte: Treiben höllische 100-Stunden-Wochen vor allem jüngere Angestellte in derart verzweifelte Situationen, dass sie oft keinen Ausweg sehen?
Investment-Banken wie „Goldman Sachs“ und „JPMorgan Chase“ versichern, dass sie das Problem ernst nehmen und Maßnahmen ergreifen, um ihren „Turbo-Bankern“ mehr Ruhezeiten zu garantierten. Vor allem wurden freie Tage verschrieben.
Doch bei den Wall-Street-Banken laufen die Geschäfte wieder so heiß wie vor dem Finanz-Crash – und in der Flut an Deals, Börsengängen, Fusionen und Akquisitionen wird in den Bürotürmen wieder fast rund um die Uhr geschuftet.
Exemplarisch scheint der tragische Fall des jungen, in Neu Delhi geborenen Bankers Sarvshreshth Gupta (22), wie in der „New York Times“ nun in schockierenden Details beschrieben. Der Finanzexperte arbeitete im San-Francisco-Büro von Goldman Sachs in der Telekom-, Medien- und Tech-Gruppe. Bereits im März hatte er den Job hingeschmissen.
Die Arbeitslast habe ihn überfordert, er sei ausgebrannt, erzählte er seinem Vater in Indien: „Dieser Job ist nichts für mich.“
Doch seine Chefs lockten ihn zurück, versprachen eine bessere „Balance“ zwischen Schreibtisch und Privatleben. Doch neuerlich häuften sich die zu bearbeitenden Deals, Deadlines wurden knapper, der Aktenstapel am Schreibtisch immer erdrückender.
Am 16. April rief er um 2.40 Uhr morgens seinen Vater in Neu Delhi an. „Es ist zu viel“, stöhnte der Absolvent der „University of Pennsylvania“, die Stimme verzweifelt: „Ich drücke seit zwei Tagen kein Auge zu, ich habe ein Meeting mit Klienten am Morgen, mein Boss ist sauer …“ Der Vater wurde zornig: „Nimm dir doch 15 Tage frei und komm nach Hause!“ Gupta antwortete: „Das werden die nie erlauben.“
Beim Abschied sagte Gupta, dass er noch eine Stunde arbeiten wolle und dann nach Hause gehen würde.
Guptas Leiche wurde im Morgengrauen auf einem Parkplatz nahe seinem Apartmentgebäude gefunden. Der junge Banker war in den Tod gesprungen.
Sein furchtbarer Tod ist kein Einzelfall
► Vergangene Woche sprang ein Investmentbanker der Firma „Moelis & Company“, Thomas J. Hughes (29), aus dem 24. Stock des Luxus-Apartmentgebäudes „The Ocean“ in Lower Manhattan. Er fiel auf das Geländer einer Tunnelrampe, wurde geköpft. Leichenteile lagen auf der Straße, nur einen Block von einer öffentlichen Schule entfernt. Der Selbstmörder hatte vor dem Tod Drogen genommen, in seiner Wohnung wurden Koks-Päckchen gefunden. Sein Vater erzählte der „Daily Mail“, dass Hughes unter „enormen Druck“ gestanden habe, sogar während eines jüngsten Urlaubes in den Bahamas durchgearbeitet habe.
► Im Februar erschütterte eine schrecklich Bluttat den Vorort Closter im US-Bundesstaat New Jersey: Michael Tabacchi (27), ein Manager bei „JPMorgan Chase“, hatte seine 41-Jährige Frau getötet und stach sich dann selbst mit einem Messer in die Brust. Das Motiv blieb vorerst ein völliges Rätsel.
► Im März des Vorjahres starb Kenneth Bellando (28), ein Analyst für die Finanzfirma „Levy Capital Partners LLC“, nach einem Sprung aus seinem Apartment im sechsten Stock eines Gebäudes an der New Yorker Upper East Side.
► Im Februar 2014 sprang der 33-Jährige „JPMorgan Chase“-Banker Dennis Li Junjie vom Dach des 30-stöckigen Bürogebäudes von „JPMorgan Chase“ in Hongkong. Er soll unter Stress am Arbeitsplatz gelitten haben, teilte die Polizei mit. Einem Freund erzählte er vor dem Selbstmord von seinem Wunsch nach einem Jobwechsel.
► Im Januar davor hatte ein Kollege der gleichen Investmentbank in London Selbstmord begangen: Auch Gabriel Magee (39) war aufs Dach eines Büroturmes im Finanzviertel Canary Wharf gestiegen und in die Tiefe gesprungen. Seine Leiche wurde am Morgen gefunden, er trug Anzug und Krawatte. Die Obduktion zeigte, dass er heftig getrunken hatte. Er hatte in den Wochen davor bereits mehrmals versucht, auf das gesicherte Dach zu gelangen. Auf seinen PC schrieb er: „Ich hasse mein Leben!“
Die Serie an Selbstmorden – auffällig viele bei „JPMorgan Chase“ – schien so krass, dass Anhänger von Verschwörungstheorien auf den Plan gerufen wurden: Die Banker hätten Betrügereien aufgedeckt und wären deshalb ausgeschaltet worden, wurde in Internet-Foren gemunkelt.
Die einschlägige Website „Realities Watch“ listete gar 48 „mysteriöse Todesfälle“ in der Finanzbranche in zwei Jahren auf, darunter auch Opfer von Gewaltverbrechen.
Erwiesen ist jedoch, wie eine Umfrage der Gruppe „National Occupational Mortality Surveillance“ (NOMS) zeigt: Die Selbstmordrate bei Bankern liegt 1,5 Mal so hoch wie beim Durchschnitt aller Berufssparten. Das Wirtschaftsmagazin „Fortune“ berichtete bereits vor Monaten über eine „Selbstmordwelle an der Wall Street“.
Nicht vergessen ist natürlich der Tod des jungen deutschen Praktikanten Moritz E. († 21) in der Londoner Niederlassung der „Bank of America“ im Sommer 2013, der 72 Stunden durchgearbeitet hatte und bei einem epileptischen Anfall in der Dusche starb.
Das entsetzliche Ende des jungen Mannes, der sich regelrecht zu Tode schuftete, führte in der Branche wenigstens zu kleinen Reformen:
► Bei „Goldman Sachs“ etwa müssen sich alle Angestellten den Samstag freinehmen.
► „Credit Suisse“ verordnete ebenfalls einen freien Samstag mit der zusätzlichen Anweisung, das Öffnen der E-Mails zu unterlassen.
► „Bank of America“ wies sein Personal an, sich mindestens vier Tage pro Monat freizunehmen.
► „JPMorgan Chase“ garantiert ein ungestörtes Wochenende pro Monat.
Doch der Stress durch das hohe Tempo und den Druck laufender Millionendeals in der Finanzbranche wird dadurch nicht geringer: Viele junge Analysten stöhnen, dass sie wegen der aufgestauten Arbeit an den freien Samstagen nun am Sonntag bis in die Nacht im Büro hocken.
Die Bankenbosse versprachen jüngst den Einsatz neuer Technologien, die Arbeitsabläufe beschleunigen sollen und die Anstellung zusätzlicher Analysten wegen der steigenden Zahl an Geschäftsdeals.
An einer Tatsache aber hat sich wenig geändert: Abteilungsleiter erwarten weiterhin 80-, oft 100-Stunden-Wochen von ihren Teams. Die meisten Banker erachten das als Selbstverständlichkeit – vor allem angesichts der Top-Gagen. „Doch das Risiko ist groß“, meint Wirtschaftsreporter Andrew Ross Sorkin in der „New York Times“, „dass es einige darunter gibt, die dem Druck einfach nicht standhalten …“